Mit Gott gegen Darwin

"Ein Gott lediglich als Lückenbüßer ist mir zu wenig"

Pfarrer Dr. Hubert Meisinger referierte bei Punktsieben in Walldorf zum Thema "Mit Gott gegen Darwin?" – Rege Diskussion

"Wir wollen den Ausschnitt der Wirklichkeit erweitern, den wir sehen. Glaube und Wissenschaft gemeinsam ergeben ein vollständigeres Bild. Mein Anliegen ist, beide Bereiche in Verbindung zu bringen." Zum Thema "Mit Gott gegen Darwin?" sprach Pfarrer Dr. Hubert Meisinger, Vize-Präsident der European Society for the Study of Science and Theology (Esssat). Er beschäftigte sich vordringlich mit dem scheinbaren Konflikt zwischen Religion und Naturwissenschaft und streifte die aus den USA stammenden Bewegungen "Kreationismus" und "Intelligent Design". An den Vortrag schloss sich eine rege Diskussion an. Der Saal des Gemeindehauses war voll besetzt. Dr. Ralf Tolle von der Punktsieben-Projektgruppe begrüßte die Gäste und betonte die Bedeutung von Darwins Hauptwerk "On the origin of species", das ein "intellektuelles Erdbeben" mitten im Spannungsfeld von Glauben und Wissenschaft darstellte. Hubert Meisinger stellte Charles Darwin kurz vor und schilderte, wie die Evolutionstheorie entstand und weiterentwickelt wurde. Auch nannte er Beispiele für Aspekte der Theorie, die noch weiter ausgearbeitet werden müssen.

 

Diese Lücken, eigentlich all die komplexen Dinge, die die Wissenschaft (noch) nicht erklären kann, nähmen religiöse Bewegungen wie Intelligent Design als Ansatzpunkt, um zu behaupten, es gebe einen "Designer", ein intelligentes Wesen, das schöpferisch eingegriffen hat. Auch wenn die Vertreter von Intelligent Design nie von Gott sprächen, sei er doch gemeint. Und so ein Gott, der nur dort existiere, wo die Wissenschaft gerade keine Antworten habe, sei lediglich ein "Lückenbüßer", so Meisinger. "Und so ein Gott ist mir zu wenig". Nicht alles, was die Wissenschaft nicht beantworten kann, bedürfe einer höheren Intelligenz als Erklärung, sagte Meisinger. Intelligent Design sei in seiner suche nach simplen Erklärungen ein "völlig naives Weltbild". Die Vertreter kämen nicht damit zurecht, dass es eben Fragen gebe, auf die man womöglich nie eine Antwort finde. "Lassen wir doch auch mal etwas offen, das ist doch fantastisch", schlug Meisinger vor.

  

Andererseits stelle sich mit Kreationismus oder Intelligent Design die berechtigte Frage, wieso sich die Religion denn von der Wissenschaft in Nischen zurückdrängen lassen sollte. Man könne auch zu liberal sein und dann bewege sich die Religion zu weit von den existenziellen Fragen weg, die sich die Menschen stellten, beispielsweise was das Leben nach dem Tod betreffe. Die Theologie sei notwendig, so Meisinger, weil sie methodisch reflektiere, was Glaube und Religion beinhalteten. Von fundamentalistischen Christen wie von manchen aggressiven Atheisten werde die historisch-kritische Deutung der Bibel völlig ignoriert. So komme es auf beiden Seiten zu abwegigen Behauptungen. Ein Problem der Theologie ist laut Pfarrer Meisinger, dass aktuelle theologische Debatten nicht für ein breites Publikum aufgearbeitet und verbreitet werden. In Buchhandlungen finde man jede Menge wissenschaftlicher Publikationen, aber kaum theologische. Für Meisinger dreht sich die zentrale Frage um das Gottesbild. Für ihn ist Gott "in der Fülle des Lebens". Er wirke nicht nur bei Geburt und Tod, nicht nur beim Entstehen des Universums und am Ende, sondern ständig. Und er bleibe nicht ewig derselbe, sondern wandle sich. Der Mensch sei das einzige Geschöpf, das über Gott nachdenke, "sich von ihm berührt fühlt und sich über ihn ärgert". An dieser Stelle gab er einem Gast Recht, der aus dem Koran zitierte. Deshalb sei der Mensch aber nicht "besser" als seine Mitgeschöpfe, betonte Meisinger, mit Blick sowohl auf religiöse als auch auf wissenschaftliche Tendenzen. Er sehe den Menschen als "Mitspieler im Orchester", nicht als Dirigent, so Meisinger. Abschließend plädierte er für den gleichberechtigten Dialog zwischen Religion und Wissenschaft. Er selbst finde beispielsweise nicht, dass die Religion der Wissenschaft überlegen sei. Man müsse vermeintliche Widersprüche zusammendenken, "das ist der Ansatz, der mir gefällt".

Wie Pfarrer Klaus Bruckner von der Punktsieben-Gruppe erklärte, wird man eine Arbeitsgruppe bilden, die Fragen zu diesem Thema näher behandeln soll. Die Gruppe werde aus Biologen und Theologen bestehen, sagte er. Auch Punktsieben sei für den Dialog, sowohl auf wissenschaftlicher als auch religiöser Seite gebe es "viel Nachdenkenswertes".

 

Nachdenkens wertes- Ansätze für einen Dialog zwischen Naturwissenschaft und Glaube

Nach Ansicht des Punktsieben- Referenten Dr. Hubert Meisinger werden Glaube und Theologie in vierfacher Weise durch die Evolutionstheorie erschüttert, könnten aber auf diese Herausforderungen- statt abwehrend- in neuer Weise kreativ reagieren:

Erstens führt die Evolutionstheorie zur Entthronung des Menschen. Der Mensch ist nicht mehr "Ebenbild Gottes", sondern primär Tier unter Tieren, "Ebenbild des Affen". Theologisch lässt sich dieser Gedanke weiterführen mit den folgenden Fragen: Könnte nicht diese grundsätzliche Verwandtschaft aller Geschöpfe für uns Menschen zu einem Anlass tiefen religiösen Erlebens werden aus der Einsicht, dass in allen Lebewesen etwas von uns lebt und leidet? Könnten nicht auch Naturwissenschaftler auf einer tieferen Ebene – falls sie deren Möglichkeit anerkennen –den Menschen als einen Übergang zu etwas Neuem verstehen und damit sich selbst als Person offen halten für einen möglichen Transzendenzbezug?

Zweitens entzaubert Naturwissenschaft zunehmend das religiös verstandene "Geheimnis der Schöpfung", weil sie die Welt erklärt ohne ein Ziel, ohne Telos und damit ohne Ausrichtung auf einen letzten Zweck oder Sinn. Eine anschließende theologische Überlegung wäre: Ist nicht die menschliche Fähigkeit, die Welt mit Hilfe der Vernunft zu erkennen, ein Hinweis darauf, dass die objektive Wirklichkeit, die Welt selbst, voll Rationalität ist? Menschen produzieren z. B. aus sich selbst heraus eine mathematische Sprache und stellen dann fest, dass diese Sprache mathematischer Formeln geeignet ist, die Natur zu beschreiben. Lässt sich diese "epistemische" Anpassung des Menschen an das Universum durch biologisch bedingte Anpassung allein erklären? Oder sind wir Menschen durch die Entwicklung des Großhirns in einen Raum eingetreten, der die biologische Evolution übersteigt (transzendiert), weil sie uns in der Wirklichkeit eine Ordnung erkennen lässt, die uns verwandt ist? Ist vermeintlich sinnloses Spiel des Zufalls darauf aus, einen umfassenden Sinn zu erschließen? Allerdings wäre zu fragen, ob das den oft blutig –grausamen "struggle for life" in der Natur rechtfertigt.

Die dritte Erschütterung von Glaube und Theologie besteht darin, dass die gesamte christliche Ethik der Nächstenliebe untergraben wird, wenn Mitmenschlichkeit als Illusion entlarvt wird. Meisinger hält hier mit seinem Lehrer Theissen daran fest, dass das biblische Liebesethos, das in der Feindesliebe gipfelt, "antiselektionistisch" sei. Die christliche Grundhaltung ist rein naturwissenschaftlich gesehen nur schwer erklärlich und ergibt nur dann einen Sinn, wenn sie dem Übergang von rein biologischer Evolution zur kulturellen Evolution zugeordnet wird. Ist das Angebot der Ethik der Feindesliebe vielleicht ein Hinweis auf die Evolution der menschlichen Kultur bzw. die "Evolution der Liebe"?

Die vierte und schwerste Erschütterung versetzt die Naturwissenschaft der Theologie, wenn sie die Welt durchgehend ohne Gott erklärt. Damit ergäbe sich für die Theologie die Aufgabe, das traditionelle Bild von Gott zu überdenken bzw. Gottes Wirken in der Welt in neuer Weise zu sehen.

Könnte die Theologie hier an das von vielen bedeutenden Naturwissenschaftlern formulierte "Staunen" über die Ordnung der Natur verweisen? Gemeint ist damit die Erfahrung, dass es auch über das wissenschaftlich Zugängliche hinaus eine Ahnung der Transzendenz geben kann. Oder ist Gott doch nur eine Hypothese, die auch dann mehr positive als negative Auswirkungen auf die Lebenden hat, wenn sie falsch ist? Oder ist die Hypothese(Gott) richtig und die Liebe wäre eine Ahnung von dem, was sein könnte, wenn die Hypothese richtig ist?

Alle vier Punkte wären Ausgangsfragen für einen weiterführenden Dialog zwischen Naturwissenschaft und Theologie. Punktsieben wird versuchen im kommenden Jahr zu einem vertiefenden Gespräch in Kleingruppen einzuladen.

Christlicher Fundamentalismus

"Die Freiheit preisen und Lust aufs Denken machen" 

Debatte über den christlichen Fundamentalismus bei "Punktsieben", 
dem Diskussionsforum der evangelischen Kirchengemeinde Walldorf  

Walldorf, 5. April 2009. "Fundamentalismus: Das ist selbstverschuldete Unmündigkeit." Diese provokante These setzte Marianne Falkner dem Podium vor. Christlicher Fundamenalismus war das Thema der Diskussion, die "Punktsieben", eine Initiative der evangelischen Kirchengemeinde in Zusammenarbeit mit der Stadtbücherei Walldorf veranstaltete. 

Im vollbesetzten Saal des evangelischen Gemeindehauses sprachen Jörg Vins vom Südwestrundfunk, Lothar Bauerochse vom Hessischen Rundfunk, Werner Schellenberg, evangelischer Dekan im Ruhestand und Berthold Enz, katholischer Pfarrer in Wiesloch. Klaus Bruckner von der "Punktsieben"-Projektgruppe begrüßte die Besucher und führte durch den Abend. Marianne Falkner, stellvertretende Direktorin des Gymnasiums Walldorf, moderierte die Diskussion. Sie zeigte sich misstrauisch gegenüber fundamentalistischen Strömungen, und auch im Publikum sahen manche darin eine destruktive Kraft, wie bei der späteren Fragerunde offenbar wurde. 

Jörg Vins, der Konflikte mit Fundamentalisten innerhalb der katholischen Kirche schilderte, hielt dieser Auffassung ein positives Beispiel gegenüber. Franz von Assisi nämlich habe die Kirche zurecht aufgerufen, sich auf ihre Wurzeln zu besinnen. Werner Schellenberg, der von erschreckenden Erlebnissen mit protestantischen Fundamentalisten in den USA erzählte, nannte Martin Luther King, der aus seinem Glauben die Kraft gewonnen habe, gegen Rassismus zu kämpfen. 

Er habe evangelikale Gottesdienst erlebt, die mit großer emotionaler Wucht gestaltet wurden, erzählte Schellenberg. Unter den Gläubigen sei geradezu eine "Massenpsychose" ausgelöst worden. Lothar Bauerochse, der das Thema aus protestantischer Sicht anging, gab Schellenberg hierin recht und fügte an, dass im Zentrum der erregten Emotionen der charismatische Führer der Gemeinde stehe. 

Was Fundamentalisten motiviere, sei ihre Angst, meinte Jörg Vins. Angst vor dem offenen Dialog mit Andersdenkenden, davor, dass ihr Glaube in Frage gestellt werden könnte. Pfarrer Enz stimmte zu. Fundamentalisten fürchteten sich vor dem "strafenden" Gott, suchten Sicherheit und endgültige Wahrheit. Sie klammerten sich an die Worte der Bibel oder die kirchliche Tradition und "versteinerten", sagte Enz, dabei sei Wandlungsbereitschaft im Glauben wesentlich. 

Unter Fundamentalisten in der katholischen Kirche sei das zweite Vatikanische Konzil umstritten, erklärte Jörg Vins. Dabei habe sich die katholische Kirche unter anderem dem Judentum geöffnet und sei auch mit Protestanten in Kontakt getreten. Man habe anerkannt, dass auch bei anderen Glaubensrichtungen Wahrheiten zu finden seien, so Vins. Berthold Enz sagte, er habe das zweite Vatikanische Konzil als "Befreiung" empfunden, er bekenne sich rückhaltlos dazu. Doch manche Menschen, so Vins, hätten sich nach dem Konzil in der Kirche nicht mehr zu Hause, nicht mehr sicher gefühlt, und hätten sich fundamentalistischen Gruppierungen zugewandt. 

Das Podium war sich einig, dass man mit Fundamentalisten gleich welcher Art in Dialog treten müsse. Wenn man versuche, Fundamentalisten zu bekehren, so Jörg Vins, begebe man sich ja auf deren Ebene. Pfarrer Enz räumte ein, dass ein Austausch schwierig sein könne, nicht nur, weil Fundamentalisten meist von ihren Ansichten absolut überzeugt seien. "Wir müssen uns von ihnen fragen lassen, was unsere Fundamente im Glauben, im Leben sind", gab Enz zu bedenken. 

"Was fehlt bei uns, dass es die Leute zu denen zieht", überlegte Werner Schellenberg. Womöglich seien es das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gemeinde und die lebendigen Gottesdienste. Davon könne man vielleicht lernen, meinte er. Für ihn zeichnet Vielfalt die Kirche aus, Offenheit und Kommunikation. 

Berthold Enz hält es diesbezüglich mit Paulus. "Prüfet alles, das Gute behaltet". Er könne mit den Traditionsbewussten leben, "solange sie mir ihren Glauben nicht aufdrängen". Fundamentalisten seien vielleicht ein Stachel im Fleisch, aber "davon könnten wir uns zu tollen Leistungen beflügeln lassen". 

Jörg Vins meinte, dass fundamentalistische Strömungen in Deutschland nicht so stark seien, weder bei Protestanten noch Katholiken. In den USA seien Evangelikale so stark, dass sie die Politik mitbestimmten, so Lothar Bauerochse, doch in Deutschland seien sie allenfalls eine Randerscheinung, aber keine Gefahr für den Staat. Und er kenne bei Fundamentalisten ein "Gegengift", meinte Bauerochse, die Aufklärung: "Wir müssen den Gebrauch der Freiheit preisen und Lust aufs Denken machen."