Gehirn, Geist, Gott - Hockt Gott im Gehirn?

Lebendige Diskussion bei Punktsieben in Walldorf – Dr. Christina Aus der Au warb für die Versöhnung von Wissenschaft und Religion

„Hockt Gott im Gehirn?“ lautete die provokant gestellte Frage, der sich Punktsieben (am 23. Februar 2014), das Diskussionsforum der evangelischen Kirchengemeinde Walldorf, widmete. Mit Blick auf aktuelle Erkenntnisse der Hirnforschung stellte man den Konflikt zwischen Glaube und Wissenschaft dar, in dem der Glaube, wie es ein Besucher ausdrückte, schon seit Langem ein „Rückzugsgefecht“ führt. 

Die Referentin aber versuchte den Brückenschlag und machte deutlich, dass eine Versöhnung der verschiedenen Sichtweisen möglich, das „Gefecht“ nicht unausweichlich ist: Dr. Christina Aus der Au habilitierte an der Universität Basel über „Neurowissenschaften und Theologie“. Die evangelisch-reformierte Theologin aus Luzern ist Autorin zahlreicher Publikationen unter anderem zum Spannungsfeld zwischen Theologie und Neurowissenschaften. Sie wurde zur Präsidentin des 36. Evangelischen Kirchentages im Reformationsjubiläumsjahr 2017 gewählt. Im mit über 200 Interessierten voll besetzten Saal des evangelischen Gemeindehauses hielt sie einen lebendigen und informativen Vortrag, in den sie das Publikum aktiv einbezog. 

Eine Extremposition wolle alle spirituellen Erfahrungen „wegerklären“: Die Wissenschaft lasse dann nur noch einen „Herrgottswinkel im Oberstübchen“ zu, so Dr. Johannes Franzkowski von Punktsieben, der die Besucher begrüßte. Dieser Extremposition begegnete Christina Aus der Au in ihren Ausführungen. Vor rund zehn Jahren hatten elf führende Hirnforscher ein Manifest veröffentlicht: Alle geistigen Vorgänge könnten Neurowissenschaftler über physiko-chemische Vorgänge beschreiben. „Damit haben sie den Theologen den Fehdehandschuh vor die Füße geworfen.“ 

Christina Aus der Au erläuterte erfolgreiche Versuche, spirituelle Erfahrungen mit Hilfe von elektromagnetischen Signalen auszulösen. Es gebe sogar Parallelen zwischen kleinen epileptischen Anfällen in bestimmten Hirnbereichen und Glaubenserlebnissen. Das werfe für viele die Frage auf: „Ist Gott heilbar?“ Hat Gott nur „körperliche Ursachen“? Braucht der Mensch ihn nur so lange, bis der Verstand, die Wissenschaft, an seine Stelle treten? „Im Gegenteil: Da ist etwas in uns, was spiritueller Erfahrungen bedarf.“ 

Hier der Geist – dort der Körper: Diese Trennung könne man nicht mehr aufrechterhalten, so Christina Aus der Au: Denken und Fühlen seien Prozesse im Gehirn und natürlich hinterließen auch religiöse Erfahrungen Spuren auf den Messgeräten der Forscher. Aber sind diese Spuren Ursache oder Auswirkung? Und die viel wichtigere Frage für die Referentin: Selbst wenn alle Prozesse im Gehirn verstanden sind – was ihr zufolge noch lange nicht der Fall ist – kann dann die Qualität der Erfahrungen nachvollzogen werden? Ihr zufolge macht es einen großen Unterschied, ob man Schmerz fühlt oder ob man die Signale interpretiert, die Nervenzellen aussenden, und „das Schmerzereignis beschreibt“. Christina Aus der Au zog den Schluss: „Viele Neurowissenschaftler wissen gar nicht, was sie suchen.“ Glaube sei nicht gleich Glaube, die Neuro-Signale seien vielleicht ähnlich, die spirituelle Erfahrung aber eine ganz individuelle. 

Mathias Pütz, Dr. Ralf Tolle und Dr. Matthias Kaiser von Punktsieben stellten vertiefende Fragen, ehe die Besucher zur Diskussion eingeladen wurden. Christina Aus der Au meinte unter anderem, dass die Theologie nicht dasselbe Feld wie die Naturwissenschaft beackern sollte: „Wenn wir nur noch auf völlig Magisches angewiesen sind, das nicht wissenschaftlich erklärbar ist, dann stehen wir wirklich mit dem Rücken zur Wand.“ Aber die Religion biete eben einen anderen Zugang zum Menschen, stelle eine andere Form der Betrachtung dar. „Der Naturwissenschaft ist nicht alles zugänglich.“ Im öffentlichen Diskurs sollte sich die Theologie aufs Wesentliche besinnen: weniger auf den Konflikt mit den Naturwissenschaften um die Beschreibung der Welt und mehr auf ethische Fragen. Auch wurde über den Unterschied zu Atheisten oder Agnostikern gesprochen, quasi die Auswirkungen des Glaubens auf das Verhalten. Christina Aus der Au antwortete mit Luther: „Wir wollten den alten Adam in uns mit der Taufe ersäufen. Aber der Kerl kann schwimmen.“ Gläubige seien nicht notwendigerweise bessere Menschen, „aber eventuell welche, die an sich arbeiten“.

(Quelle: Rhein-Neckar-Zeitung)

Der gewünschte Tod

"Die Kirche muss bei Sterbehilfe Ansprechpartner sein"

Vortrag von Pfarrer Michael Frieß bei "Punktsieben" in Walldorf - "Ich habe das gute Gefühl, dass die Diskussion eröffnet ist" 

Zwei starke Ängste empfindet der Mensch eingedenk des Lebensendes: "Es wird nicht mehr alles für mich getan", aber auch "Ich darf nicht sterben", die Angst vor "fremdbestimmtem Leiden". Darüber sprach Dr. Michael Frieß (Foto: Pfeifer), Pfarrer in der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, Autor und Rettungsassistent, als er bei "Punktsieben", dem Diskussionsforum der evangelischen Kirchengemeinde Walldorf, über aktive Sterbehilfe referierte. 
Klaus Bruckner von Punktsieben begrüßte die Gäste und stellte Frieß vor. Er erklärte, es sei nicht einfach, "einen Ethiker oder Theologen zu finden, der sich so konzentriert mit aktiver Sterbehilfe befasst". Ein Grund ist die klare Position des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Der kann sich der Referent nicht anschließen: "Das Suizidverbot lässt sich biblisch nicht begründen", erläuterte er. Die landläufig bekannte Formulierung "Gott ist Herr über Leben und Tod" stamme keineswegs aus der Bibel und für das Gebot "Du sollst nicht töten" habe man in der Geschichte des Christentums immer Ausnahmeregelungen gefunden. 
Mit den Möglichkeiten der modernen Intensivmedizin sei nun "eine neue Situation" entstanden, die es nötig mache, über weitere Ausnahmen nachzudenken. "Sich der Debatte zu verwehren, geht nicht, schon gar nicht mit den zehn Geboten." 
Zuhörer, die anderer Meinung als Pfarrer Frieß waren, meldeten sich nicht zu Wort, vielmehr erhielt er Zustimmung und Dank dafür, das sensible Thema aufgegriffen zu haben. Wie es schien, herrschte im Saal Einigkeit über das Recht auf Selbstbestimmung gerade, was Sterben, Leid und Tod angeht. Dabei ging es allen um die aktive Sterbehilfe für Todkranke, die austherapiert sind. Konsens war offenbar auch Pfarrer Frieß' - charakteristisch protestantisches - Statement: "Ich als evangelischer Christ lasse mir von keinem EKD-Ratsvorsitzenden sagen, was ich glauben muss." Protestanten müssten selber entscheiden, so Frieß: "Ich bin keine Marionette an den Fäden Gottes." 
Recht viel Zustimmung erhielt er auch für die theologische Überlegung, dass Suizid für viele Christen ein tiefreligiöser Akt sein könne: "Ich begebe mich in die Hände Gottes." Insofern könne man auch die Beihilfe zum Suizid und sogar die aktive Sterbehilfe als Akt der Barmherzigkeit betrachten, so Frieß. Seine Vorstellung von Gottvertrauen schließt wiederum nicht ein, in schwierigen Lebensrettungsmaßnahmen irgendwann innezuhalten und sie Gott zu überlassen. Und so gelte auch im Prozess des Sterbens: "Ich finde keinen Punkt, bis zu dem der Mensch entscheiden kann und ab dem Gott entscheiden muss." Das sei einem modernen, selbstbestimmten Menschen nicht möglich, meinte der Pfarrer. "Gott hat uns den Verstand, den Willen und den Auftrag gegeben zu entscheiden." 
Michael Frieß erläuterte auch die Rechtslage in Deutschland, auch was den Stopp lebensverlängernder Maßnahmen wie künstliche Ernährung angeht, und verglich sie mit der in den Niederlanden und in der Schweiz. Hierzulande sei Suizid nicht strafbar, demnach auch nicht die Beihilfe. Dafür aber habe die Bundesärztekammer ärztlich assistiertem Suizid "einen Riegel vorgeschoben". 
Michael Frieß wünscht sich eine gesetzliche Regelung, die klare Bedingungen vorgibt. Schwierigster Punkt dabei sei wohl, ob der Patient den "ernsthaften Willen" habe, seinem Leben ein Ende zu setzen. Selbstverständlich muss es ein nachvollziehbarer, lang gefasster Wunsch sein, keine spontane Übersprungshandlung etwa bei Liebeskummer. Auch dürfe natürlich kein Druck auf den Sterbenden ausgeübt werden. 
Dass dieser Druck möglicherweise empfunden wird, wenn die Sterbehilfe erlaubt ist, räumte Michael Frieß ein. Noch gebe es hierzu keine Studien etwa aus den Niederlanden oder der Schweiz. Andererseits sei auch die psychologische Wirkung dieser Wahlmöglichkeit nicht zu unterschätzen, hob er hervor. Die Angst vor einem leidvollen Tod werde gelindert: Das sei eine so große Entlastung, dass das Angebot dann vielleicht gar nicht in Anspruch genommen werden müsse. Er betonte auch, dass das keinen Widerspruch zur Hospizidee darstelle: Ein begleitetes Sterben und gute Palliativmedizin zur Schmerzlinderung seien von enormer Bedeutung. 
Im Anschluss an den Vortrag stellten Alf Osman und Mathias Pütz von Punktsieben sowie Hospizhelferin Marianne Schröter vertiefende Fragen zu Selbstbestimmung, zum möglichen rechtlichen oder institutionellen Rahmen für Sterbehilfe und über möglichen Missbrauch, wenn aktive Sterbehilfe erlaubt und geregelt ist. Auch entspann sich eine angeregte Diskussion mit dem Publikum. 
Abschließend forderte Pfarrer Frieß: "Die Kirche muss bei Sterbehilfe Ansprechpartner sein." Er zeigte sich verhalten zuversichtlich: Auch wenn es sicher noch daure, bis eine Sterbehilfe-Regelung gefunden ist: "Ich habe das gute Gefühl, dass die Diskussion eröffnet ist." (Quelle: Rhein-Neckar-Zeitung/seb)